Was die Arbeit im Flüchtlingslager mir beigebracht hat. Über Resilienz, Demut und das, was bleibt
2006 und 2007 war ich für insgesamt ein gutes halbes Jahr in Ghana. Ich durfte dort für eine liberianische Zeitung schreiben, die mitten in einem Flüchtlingslager gegründet wurde, von Menschen, die selbst geflohen waren. Allein dieser Gedanke ist schon unglaublich: Menschen, die alles verloren haben, erschaffen mitten im Chaos ihre eigene Stimme.
Ich war Mitte zwanzig. Naiv, neugierig, überprivilegiert. Ich kam aus einer Welt, in der alles irgendwie selbstverständlich war. Sicherheit, Strom, Bildung, Optionen. Und plötzlich stand ich in dieser anderen Welt, die nichts mit meiner zu tun hatte.
Das Lager war wie eine Parallelgesellschaft, improvisiert, aber lebendig. Es gab dort eine kleine HIV-Station, in der ich mitarbeiten durfte. Eine Schule für Gehörlose. Junge Männer, ehemalige Kindersoldaten, die versuchten, sich ein neues Leben aufzubauen. Frauen, die kleine Märkte organisierten. Kinder, die lachten, obwohl es eigentlich nichts zu lachen gab.
Ich erinnere mich an Abende, an denen wir im Licht einer einzigen Glühbirne saßen, während draußen das Summen der Insekten lauter wurde. An Gespräche, die alles infrage stellten, was ich über das Leben zu wissen glaubte. Und an Momente, in denen ich einfach nur still war, weil es nichts zu sagen gab, was irgendwie gerecht gewesen wäre.
Wenn ich heute darüber spreche, merke ich, wie sehr sich die Zeiten verändert haben.
Man muss aufpassen, wie man erzählt, weil schnell das Wort Armutstourismus im Raum steht.
Ich verstehe, woher das kommt. Aber für mich war es nie das.
Ich war dort, um zu lernen, um mitzuarbeiten, um mitzuerleben, was Menschen möglich machen, wenn sie nichts mehr haben außer sich selbst.
Ich war dort, um zuzuhören.
Und ich weiß, was für ein Privileg das war.
Diese Monate haben mich verändert. Sie haben mir Demut beigebracht, nicht als Konzept, sondern als Gefühl. Sie haben mein Denken geöffnet, meine Haltung geformt, und mich gelehrt, dass Resilienz kein Schlagwort ist, sondern eine Überlebensstrategie.
Ich bin als anderer Mensch zurückgekommen.
Vielleicht nicht weiser, aber wacher.
Und bis heute erinnert mich dieses halbe Jahr daran, worum es im Kern geht:
Nicht darum, alles im Griff zu haben.
Sondern darum, in Bewegung zu bleiben – auch dann, wenn das Leben uns kurz stilllegt.
Denn Menschlichkeit beginnt dort, wo wir aufhören, alles erklären zu wollen.